Fluggeschichten: Traum oder Albtraum?

Fliegen ist ein Traum, meistens jedenfalls. Im andern Fall gibt’s eine Achterbahnfahrt wie auf dem Rummelplatz kostenlos dazu. Auch Flugplätze sind faszinierende Orte. Kein Wunder, gibt es Menschen, welche ihre Freizeit am Liebsten am Flughafen verbringen und einfach dem bunten Treiben zuschauen. Beim Warten auf einen Flug ist das Beobachten wirklich eine kurzweilige Angelegenheit. Menschen aus aller Welt laufen vorbei, die einen gemütlich, die anderen hetzen zu ihrem Gate. Da ist der geschniegelte Banker aus London neben der Reisegruppe, welche zum Angeln nach Kanada fliegt, erkennbar an ihren Holzfällerhemden und der Spezialverpackung ihrer Angelruten. Da gibt es Afrikanerinnen in ihren farbenprächtigen Kleidern oder Leute, welche selbst im Winter sommerlich gekleidet sind, weil die Reise wohl in die Tropen geht. Ich amüsiere mich auch immer wieder über die gutgekleideten und wohl auch gutsituierten Damen, welche in ihrem Schlepptau ihren Ehemann haben, wie ein Hündchen an der Leine, und welcher seiner Frau das Schminkköfferchen trägt.


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Kluane Nationalpark, Kanada

© Text und Fotos: Andreas Zimmermann

Spätestens am Gate frage ich mich jeweils neben wen ich wohl zu sitzen komme, und neben wem ich lieber nicht sitzen möchte. Besonders in den USA gibt es sehr fettleibige Menschen, welche gefühlte zwei Sitzplätze benötigen. Zur Sicherheit lasse ich mir jeweils einen Platz am Gang reservieren, damit ich wenigsten auf einer Seite noch Luft habe. Es gibt auch Menschen mit einem extrem grossen Mitteilungsbedürfnis, wo auch sich schlafend stellen nichts nützt, und welche einem mit ihrer gesamten Lebensgeschichte, Krankengeschichte und vielem mehr beglücken. In der Eisenbahn kann ich den Platz wechseln, im Auto bestimme ich selber wen ich mitnehme, aber im Flugzeug bin ich bis zum bitteren Ende an meinen Sitz gefesselt.

Lesetipp:
Anekdoten über das Fliegen: Zur Not kann die Kiste auch segeln: Ein Flugkapitän erzählt

Am Ende der Welt

Nach 80 Tagen und 3200 Kilometern im Kanu erreichten Christian, Bernd und ich Alakanuk an der Beringsee. Wie wir von dort fortkommen, da hatten wir keine Ahnung. Die günstigste Lösung zeigte sich, war nach Nome zu fliegen und dann weiter nach Fairbanks. Das Flugzeug hatte neben dem Piloten noch fünf Sitzplätze. Wir waren jedoch sechs Personen, so dass sich Bernd im ohnehin schon vollgestopften Gepäckraum zwischen die Rucksäcke quetschen musste. Das Flugzeug war so überladen, dass es plötzlich nach hinten umkippte, so dass seine Schnauze steil in den Himmel ragte. Mit dem Gewicht des Piloten kehrte es langsam in seine normale Position zurück. Auch in Alaska muss natürlich alles seine Ordnung haben, it’s the law (es ist Pflicht, Vorschrift, Gesetz). Also nahm der Pilot von jedem Passagier sein Gewicht auf und vervollständigte sein Protokoll. Das Gepäck schien dabei keine Rolle zu spielen.

Der Motor wurde gestartet und durch die Vibrationen kippte das Flugzeug erneut nach hinten. Der Pilot versuchte das Flugzeug wieder aufzurichten, was jedoch nicht gelang. Da schaute er zu uns nach hinten, sagte „wird schon schief gehen, no worries“ und gab Vollgas. Die Schnauze steil in den Himmel gerichtet rasten wir also über die holperige Schotterpiste, welche sich Rollfeld nennt und kurz vor einem Crash in der Tundra schafften wir es abzuheben.

Die Gegend um die Beringsee ist häufig mit garstigem Wetter gesegnet, vor allem auch jetzt im Herbst, wo sich die ersten Stürme ankündigten. Entsprechend ruppig gestaltete sich der Flug. Der Inuitfrau hinter mir wurde schon bald übel, so dass ich sicherheitshalber die Kapuze meiner Jacke hochzog. Ich musste die Bescherung ja nicht gleich im Nacken haben. Nach kurzem Flug landeten wir in Kotlik, wo uns die Inuitfrau verliess, so dass nun auch Bernd einen regulären Sitzplatz erhielt. Im gleichen ruppigen Stil führte unsere Reise weiter nach Stebbins, und da war dann Mal Schluss für den Moment. Es war kein Flugzeug da, welches weiter nach Nome fliegen würde. Der Agent der Fluggesellschaft erklärte, ev. würde heute noch eines kommen, vielleicht auch erst Morgen oder auch erst in einer Woche. Das hänge auch immer noch vom Wetter ab. Er wisse im Moment auch nichts genaueres. Der Agent war mit seinem Quad-Motorrad samt Anhänger zum Rollfeld gekommen, womit er uns zu seiner Wohnung chauffierte, welche wohl gleichzeitig als Terminal und Wartesaal diente. Wir machten es uns also in seinem Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen gemütlich.

Flach und windumtost wie das Meer zeigte sich auch die Landschaft rund um Stebbins. Nur kärgliche Tundravegetation gedeiht hier und alles war so eintönig und grau dass die Grenzen von Wasser, Land und Himmel zu verschwimmen schienen. Mittendrin als einzige Erhebungen die paar Häuser des Dorfes. Es war ein Ort, an den sich wohl niemand freiwillig hinwünscht, das Ende der Welt. Und doch hat es jemanden freiwillig hierhin verschlagen, nämlich Piotr aus Polen. Was er in seiner Heimat verbrochen hat ist mir nicht bekannt, doch auch in Stebbins verdient er seinen Lebensunterhalt mit illegalen Geschäften. Er ist nämlich Alkoholschmuggler. Er holt den Schnaps mit dem Boot in Nome und verkauft ihn in all den Inuitdörfern, welche vom Gesetz her „trocken“ sind. Ab und zu wird er zwar erwischt, was aber weiter kein grösseres Problem darstellt. Die Polizisten, welche ja auch Inuit sind beschlagnahmen den Schnaps und sind dann zwei Wochen besoffen, so dass er wieder freie Bahn hat.

Endlich nach fünf langen Stunden die erlösende Nachricht, dass ein Flugzeug bereitsteht. Hurra Zivilisation, wir kommen ...

Im Buschflugzeug über der Brooks Range, Alaska
Im Buschflugzeug über der Brooks Range, Alaska

Schwarzer Montag

Es war auf meiner ersten Reise nach Kanada und Alaska, als ich mich von Vancouver aus auf den Heimweg machte. Wir schrieben den Montag 19. Oktober 1987. Nach dem Eindunkeln starteten wir, unter uns die Lichter der Grossstadt. Ich hatte eine ganze Sitzreihe für mich alleine zur Verfügung, so dass ich mich der Länge nach hinlegen konnte und herrlich ausgeschlafen in London ankam. Von dort führte am Dienstag der Anschlussflug nach Zürich. Es ergab sich, dass die zwei einzigen bunten Gestalten auf diesem Flug nebeneinander zu sitzen kamen. Ich war bekleidet mit einem kanadischen Holzfällerhemd und hatte meine Angelrute im Handgepäck. Neben mir kam ein rothaariger Schotte im Kilt zu sitzen, welcher einen Dudelsack dabei hatte. Sämtliche anderen Fluggäste waren dunkel gekleidete Geschäftsherren, welche einen ziemlich traurigen und niedergeschlagenen Eindruck machten. Wir zwei liessen uns durch die merkwürdige trübe Stimmung nicht anstecken und genossen unseren Flug bei Bier, Wein und zum Abschluss mit einem Whisky, was damals noch alles ohne Aufpreis serviert wurde. Erst einige Tage später wurde mir klar, was die merkwürdige Stimmung im Flugzeug zu bedeuten hatte: Der Montag 19. Oktober 1987 ging als Schwarzer Montag in die Geschichtsbücher ein. Der Dow Jones fiel um 508 Punkte (22.6%). Das war somit der erste Börsencrash seit dem zweiten Weltkrieg und der grösste Kurssturz innerhalb eines einzigen Tages. All die Herren im Flugzeug hatten also soeben ihren Weltuntergang erlebt ...

Ein Wimperschlag vom Tod entfernt

Keine Angst! Da Sie jetzt diese Zeilen lesen, dürfen Sie davon ausgehen, dass diese Geschichte eine gute Wendung nehmen wird, denn andernfalls wäre der Schreibende nicht mehr unter den Lebenden.

Air North ist die Fluggesellschaft des Yukon Territory. Nach einem Trekking über den Chilkootpass und einer Kanutour von Whitehorse nach Dawson im Jahr 1987 wartete am Flugplatz eine alte Douglas DC-3 für den Rückflug. Kapazität der Maschine: 28 Passagiere. Der Boden war aus Holz und der Durchgang zum Cockpit nur mit einem Vorhang abgetrennt, so dass man auf Wunsch auch problemlos dem Piloten bei seiner Arbeit zuschauen konnte. Wir wurden von der Flugbegleiterin begrüsst, welche man damals noch Stewardess nannte: "Hallo Leute" sagte sie, "Ihr seid ja sicher alle schon einmal geflogen, oder? Da kann ich mir die ganze Geschichte von wegen Sicherheit ja sparen. Die Anderen dürfen gerne das Infoblatt lesen, welches sich im Fach der Rücklehne gleich neben der Kotztüte befindet. Im Übrigen sind die Überlebenschancen gering, falls wir hier in Wäldern runtergehen müssen. Und ach ja, ihr könnt euch noch auf etwas Turbulenzen freuen." Danke, das sind ja sehr erfreuliche Aussichten, dachte ich. Der Start gestaltete sich problemlos und auch der Flug war Anfangs sehr angenehm. Als die Flughöhe erreicht war holte die Stewardess zwei Plastiktüten vom Supermarkt, sowie ein Serviertablett aus einem Schrank hervor. Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Fussboden, holte zwei grosse Stücke Cheddarcheese hervor, welche sie in handliche Stücke schnitt und zusammen mit Crackers auf dem Tablett anrichtete. Dies wurde uns zusammen mit Orangensaft und Kaffee als Imbiss gereicht. Praktisch ohne Vorwarnung gerieten wir nun in starke Turbulenzen. Orangensaft und Kaffee flogen durch die Kabine. Alle wurden unfreiwillig geduscht. Und die Turbulenzen wollten und wollten nicht mehr aufhören. Rauf und runter ging es und auch sonst in alle Richtungen. Die ersten Kotztüten kamen zum Einsatz und indem sich nach und nach dieser penetrante säuerliche Geruch im ganzen Flugzeug verbreitete konnten bald auch die resistentesten Passagiere dem Brechreiz nicht mehr widerstehen.

Whitehorse kann nicht mehr weit sein, die Flughöhe nimmt ab. Der Pilot meldet: "Landung in 15 Minuten, falls möglich". Die Turbulenzen sind immer noch enorm. Je weiter wir runter kommen, desto ruhiger wird es. Die Bäume scheinen schon sehr nah. Gleich werden wir landen. Doch plötzlich erwischt uns eine Böe. Ich schaue aus den Fenster. Der Flügel schaut senkrecht nach unten. Ich habe das Gefühl, ich könnte die Wipfel der Bäume berühren. Eine weitere Böe und das Flugzeug liegt wieder richtig in der Luft und einen Wimperschlag später ein ruppiger Schlag. Wir haben auf der Piste aufgesetzt. Wir rollen vor den Hangar und die Stewardess öffnet die Tür. Alle sitzen immer noch wie benommen in ihren Stühlen. Da kommt der Pilot schweissgebadet aus dem Cockpit bekreuzigt sich und erklärt, er habe nicht daran geglaubt heute noch lebendig herunter zu kommen.

Lust auf noch mehr Fluggeschichten?

... dann lesen Sie dochmeinen Bericht über die Alpenüberquerung mit dem Heissluftballon.