Kolumne: Eine philosophische Zeitreise

In meinem Reisebericht über den Jakobsweg in Spanien habe ich bereits meine Motivation zum Pilgern erläutert, nämlich die Zeit langsamer verstreichen zu lassen. Die Zeit ist ein abstraktes Gebilde. Man sieht sie nicht, man kann sie nicht fassen. Will man sie festhalten, so läuft sie einem davon. Es ist also höchste Zeit, der Zeit einige Gedanken und Zeilen zu widmen.


Die beliebten Reiseberichte sind auf unsere neue Webseite umgezogen:


Standing Stones of Calanish, Orkney, Schottland

© Text und Fotos: Andreas Zimmermann

Es ist 5.30 Uhr, der Wecker klingelt. Ich hasse dieses Geräusch zu dieser unchristlichen Zeit. Ich stehe auf, die Arbeit ruft. Dieses Szenario liegt weit in der Vergangenheit, ich war noch in der Ausbildung. Damals habe ich mir gedacht: "Der Wecker ist die dümmste Erfindung der Menscheit". Heute sehe ich es etwas differenzierter. Der Mensch hat zwar die Uhr erfunden, doch die Zerstückelung der Zeit liegt bereits in der Natur. Tag und Nacht, die Mondphasen und die Jahreszeiten geben bereits ein grobes Raster vor. Der Mensch hat die Zerstückelung und Genauigkeit der Zeitmessung nur noch perfektioniert. Mit einer Ytterbium-Atomuhr zum Beispiel beträgt die Abweichung in 20 Milliarden Jahren gerade noch eine Sekunde.

Seit Albert Einstein wissen wir, dass die Zeit die vierte Dimension in unserem Universum darstellt. Mittels seiner Relativitätstheorie wären theoretisch sogar Reisen in die Zukunft möglich. Für uns Normalsterbliche ist die Zeit jedoch einfach der Strang an welchem sich alle Ereignisse in chronologischer Reihenfolge aufreihen, wie die Perlen an einer Schnur. Gäbe es keine Zeit, lebten wir immer in der Gegenwart. Es gäbe keine Vergangenheit und wir hätten auch keine Zukunft. In der Gegenwart interpretieren wir die Vergangenheit und ziehen unsere Schlüsse für die Zukunft. Nur durch die Zeit und somit mittels der Vergangenheit schaffen wir Erinnerung und damit einen Sinn für unser Leben.

Es war einmal ...

... vor langer, langer Zeit, irgendwo in Afrika. Die Affen verliessen ihre Bäume, bewegten sich auf dem Boden fort und richteten sich auf. Mit der Zeit verloren sie auch ihr Fell und gingen fortan als nackte Affen in die Welt hinaus. Heute nennt man diese Wesen Menschen. Der Begriff "Nackter Affe" stammt übrigens von Desmond Morris, einem britischen Zoologen und Verhaltensforscher, welcher durch seinen Bestseller «Der nackte Affe» weltberühmt wurde.
Für alle, welche für die Evolutionstheorie nicht viel übrig haben, habe ich noch eine weitere Definition für die Zeit vor langer, langer Zeit auf Lager nämlich: Es war, als Adam in den Apfel der Erkenntniss biss und damit sich und Eva vom langweiligen, öden Dasein im Paradies befreit hat.

Die Menschen zogen also in die Welt hinaus und machten sich die Erde untertan. Zuerst lebten sie als Jäger und Sammler, bauten sich einfache Hütten oder lebten in Höhlen. Bald machten sie sich das Feuer nutzbar und begannen Ackerbau zu betreiben. In Afrika, nahe dem Äquator waren alle Tage und Nächte mehr oder weniger gleich lang. Auch das Klima war immer dasselbe. Das Leben war geprägt durch den Rhythmus von Tag und Nacht.

Die Menschen blieben jedoch nicht am Äquator sitzen, sondern bevölkerten bald fast die gesamte Erdkugel. Für die Bewohner im Norden oder im Süden kamen also zum Rhythmus von Tag und Nacht noch der Wechsel der Jahreszeiten hinzu. Man muss sich einmal vorstellen, auch die Pole würden Temperaturen bieten, welche ein Leben ermöglichten: Das Jahr dieser Menschen würde aus genau einem Tag und einer Nacht bestehen, mit etwas Dämmerung dazwischen. Über viele Generationen war also der Kalender geprägt durch die Natur, durch Tag und Nacht, durch die Jahreszeiten und durch die Mondphasen.

Ich erinnere mich noch an die Karl May Filme, wo Winnetou zum Beispiel zu Old Shatterhand sagte: "Old Shatterhand, mein weisser Freund und Blutsbruder, ich habe eine wichtige Mission im heiligen Tal der Väter zu erfüllen, wir sehen uns also in zwei Monden wieder.

Uhren

Die naturgegebene Unterteilung der Zeit war dem Menschen aber bald zu wenig genau. Die nachweislich erste Uhr geht in die Zeit von Thutmosis III (1479 bis 1425 v. Chr.) zurück, es war die altägyptische Sonnen- oder Schattenuhr. Während des Tages liess sich die Zeit damit relativ genau unterteilen, in der Nacht war man aber zeitlos. Später entstanden Wasser - und Sanduhren bei welchen ein Medium von einem Gefäss in ein anderes fliesst und somit ein gewisses Zeitintervall definiert. Ab ca. 1300 entstanden die ersten Räderuhren welche an öffentlichen Gebäuden, wie Kirchtürmen Verwendung fanden und mittels Glockengeläut den Menschen die Zeit bekanntgaben.

Die Industrialisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert machte die Uhren zur Massenware. Taschenuhren welche seit Beginn des 15. Jahrhunderts bekannt sind, konnten nun preisgünstig hergestellt werden. Die Miniaturisierung nahm weiter ihren Lauf. Daraus resultierte die Armbanduhr Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die Zeit heute

Wir sind umgeben von Zeitmessern. Es gibt Bahnhofsuhren, Kirchenuhren, Küchenuhren, Kuckucksuhren, jeder Computer zeigt die Zeit an und in unserer mobilen Welt natürlich auch all die Tabletts und Mobiltelefone. Besonders die Armbanduhr hat heutzutage eigentlich ihre Existenzberechtigung verloren, es braucht sie nicht mehr wirklich.

 

Die Uhrenindustrie hat es aber geschafft aus einem Nutzobjekt ein Schmuckobjekt zu machen und steigert so Jahr für Jahr ihre Umsätze. Man sagt ja auch, eine Uhr sei das einzige Schmuckstück, welches ein Mann wirklich tragen kann. Wenn man früher eine einzige Uhr besass, so besitzt man heute gleich mehrere, passend zum entsprechenden Kleid oder Anzug. Besonders teure Luxusuhren sind im Trend, gerade so, als ob damit die Zeit wertvoller würde. Meist sieht eine teure Uhr von Aussen betrachtet nicht einmal gross anders aus als eine billige. Auf die inneren Werte kommt es da an, welche aber niemand sieht. Komplexe mechanische Werke verbergen sich im Innern, meist noch mit Komplikationen ergänzt. Komplikationen nennt man bei Uhren Funktionen, welche übers reine Anzeigen der Zeit hinausgehen, wie zum Beispiel Kalender, Mondphasen, Chronograph oder mehrere Zeitzonen. Sind viele verschiedene Komplikationen in eine Uhr eingebaut so spricht man von Grande Complication und da wird es dann richtig teuer. Ich gebe es zu, ich kann mich dem Reiz einer schönen mechanischen Uhr auch nicht ganz entziehen. Kleine technische Wunderwerke sind das. Wie all diese kleinen Zahnräder zusammenwirken und ihre Arbeit mit höchster Präzision verrichten ist faszinierend. Ein Uhrwerk ist wie ein kleines Modell unseres Universums mit den Planeten, welche ihre Bahnen ziehen und der Uhrmacher ist sein Schöpfer. Es ist fast wie eine Weltformel fürs Handgelenk. Eine solche Uhr hat etwas zeitloses und strahlt den Hauch von Ewigkeit aus. Eine bekannte Uhrenmarke wirbt ja auch damit, dass man ihre Uhr nicht nur für sich besitzt, sondern bereits für die nächste Generation. Unbeirrt erledigt sie ihre Arbeit - tick tack tick tack - und sie wird es auch dann noch tun, wenn ich selbst längst nicht mehr bin...